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Katalog:
(Text) |
Ausstellung
"Grenzgänger + Blumenwiese" |
2002 |
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Vorwort |
Von
Prof. Dr. Brigitte Tietzel (Text), Johannes Breitkopf (Fotos) |
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Kunstwege
sollen in der von der Euroga 2002+ umfaßten Region an
Rhein und Maas die dezentrale Landesgartenschau um eine
künstlerische Dimension erweitern. In Linn entsteht im
Sommer dieses Jahres im Ortskern eine ,,Blumenwiese",
bei der das geschichtsbezogene Kopfsteinpflaster mit
gelben und weißen Pixeln wie von Gänseblümchen
übersät wird.
Das
Gefühl für die Natur, das die Landesgartenschau sicher
in sehr konkreter Weise schärfen kann in den zahlreichen,
wundervollen neu gestalteten Parkanlagen, wird durch die
Linner Installation der Düsseldorfer Künstler Barbara
Esser und Wolfgang Horn in einer eher abstrakten Weise
angesprochen. Indem man über eine gepflasterte Straße
geht, die das natürliche Wachstum der Pflanzen geradezu
verhindert, und auf solchen Straßen das stilisierte
Abbild von Blumen erkennt, die vielleicht zu den ersten
gehören, die man als Kind wirklich wahrnimmt, fragt man
sich unwillkürlich: Wann bin ich zum letzten Mal über
eine tatsächliche Blumenwiese gegangen?
Und
es beginnt, Spaß zu machen, bewußt auf die gepixelten
Gänseblumen zu treten oder seinen Weg zwischen den
Blüten hindurch zu finden. Fast bedauert man, die Blumen
nicht pflücken zu können. Aber man nimmt sich vielleicht
vor, dies im nahegelegenen Park der Burg Linn nachzuholen.
Da
die ,,Blüten" der Installation die Museen in Linn
verbinden, geben sie dem Besucher den Hinweis auf die
Kunst, zu der sie dieser Weg führt. Sie verdichten sich
vor dem Textilmuseum und geben hiermit einen Hinweis auf
die Inhalte dieser Kunststätte, deren Entwürfe vielfach,
und dies zu allen Zeiten, der Natur entlehnt waren.
Barbara Esser und Wolfgang Horn sind in ihren Arbeiten
selber dem Textilen sehr verwandt, wenn auch die Muster,
die die ausgebildete Textildesignerin Esser als
Doppelgewebe fertigt, auf den ersten Blick wenig mit der
Natur zu tun haben. Viel eher stehen ihre Entwürfe, wie
sie die Ausstellung ,,Grenzgänger", die in
Zusammenhang mit der Außeninstallation
,,Blumenwiese" im Deutschen Textilmuseum gezeigt
wird, den abstrakten Arbeiten der Bauhaus-Weberinnen nahe.
Doch
schließt sich der Kreis, wenn trotz der Abstraktion der
Muster bei einigen, wie etwa bei dem Teppich ,,Laub"
(Kat. Nr. 37) sehr wohl ein Naturerlebnis, das Fallen der
Blätter, für den Betrachter spürbar evoziert wird.
Da
die Natur den Künstlern zu allen Zeiten als Vorbild
diente, darf sich der Künstler wohl auch der Natur
bedienen, um solche Zusammenhänge zu verdeutlichen. Die
,,6 Teppiche" (siehe Abb. 5.4) der gleichnamigen
Installation von Essen Horn beim Designer'Saturday im
Düsseldorfer Ehrenhof von 1999 sind ein großartiges
Zeugnis solcher künstlerischen Umgestaltung von Natur zu
einem Motiv - dem des Teppichs -, das dem Menschen so
häufig als Anspielung auf die Natur in seinem häuslichen
Lebensumfeld diente.
Das
Deutsche Textilmuseum ist froh, einen Beitrag zur Euroga
2002+ leisten zu können und mit Barbara Esser und
Wolfgang Horn Künstler gefunden zu haben, die sich als
Grenzgänger einer eindeutigen Zuordnung ihrer
künstlerischen Arbeit entziehen. Das scheint mir wie ein
Versprechen auf mehr.
Prof.
Dr. Brigitte Tietzel Direktorin des Museums |
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Blumenwiese
Eine
Installation von
Barbara Esser und Wolfgang Horn
Auf dem Andreasmarkt in Krefeld-Linn
In
Zusammenhang mit der Euroga 2002+ lassen Esser/Horn in Linn, am
Standort des Deutschen Textilmuseums eine "
Blumenwiese" entstehen.
In
diesem Projekt wird die Idee des bewußten Umgangs mit der Natur
künstlerisch aufgegriffen. Eine Wiese mit Gänseblumen, ein
unscheinbarer, profaner, gewöhnlicher, seit Kindertagen
vertrauter Bestandteil unserer natürlichen Umgebung, ist
Ausgangspunkt der künstlerischen Überlegungen. Im Alltagsleben
eher unwichtig und übersehen, wird er in der Installation auf
die Pflastersteine des historischen Ortskerns von Linn gepixelt
und dringt in dieser abstrahierten Form erst wieder in unser
Bewußtsein.
Als
Ausstellungsfläche dienen der Andreasmarkt und die zu ihm
führenden Straßen des Ortsteils. Die Pixel verbinden die
Museen in Linn und sind im wahrsten Sinn des Wortes ein
Kunstweg, ein Weg zur Kunst. Erst vereinzelt, dann dichter
werdend, führen diese seltsamen Straßenblumen den Besucher zum
Eingang des Deutschen Textilmuseums und deuten somit in
verfremdender Weise auf den Inhalt der Sammlungen des Museums,
denn nicht selten ist die Natur Vorbild für textile Muster und
Ornamente gewesen.
Das
Material für die ,,Gänseblumen" besteht aus gelben und
weißen Markierungsstreifen, wie sie von Baustellen auf
Autobahnen bekannt sind. Ein sehr technisches Material
verwandelt sich in ein Abbild der Natur, Natur wird uns in
,,technischer" Verfremdung wieder bewußt gemacht.
Die
dezentrale Gartenschau der Euroga 2002+ hatte unter anderem das
Ziel, durch eine Neugestaltung vorhandener Parks und Gärten,
die teilweise vernachlässigt, teilweise als Besonderheit
einfach aus dem Bewußtsein der Menschen verschwunden waren,
aufzuwerten und wiederzubeleben. Esser/Horn haben ihren Beitrag
zu den Kunstwegen der Euroga als eine gleiche Aufgabe
verstanden, mit den Mitteln des Künstlers Mensch und Natur
zusammenzubringen. Das hierbei in der Arbeit der Künstler die
tatsächliche Natur keine Rolle zu spielen braucht, sondern im
Gegenteil der Mensch über stilisierte Abbilder der Natur und
mit Hilfe technischer Materialien angesprochen wird, die ihm im
Alltagsleben fast vertrauter sind, ist nur folgerichtig.
Die
Verfremdung der Materialien einerseits, die man als Autofahrer
sofort wiedererkennt, aber hier in einem völlig anderen
Zusammenhang begreifen muß, und die fremdartige Vision der
Gänseblümchen auf Kopfsteinpflaster andererseits, sollen die
Aufmerksamkeit der Besucher erregen, die der künstlerischen
Installation - so die Hoffnung folgen werden: Sowohl in das
Textilmuseum als auch in die Natur der Parks von Burg Linn.
Brigitte
Tietzel |
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Grenzgänger
Bemerkenswert,
wie diese beiden Menschen, aus so unterschiedlichen
künstlerischen Bereichen kommend, zueinander gefunden
haben und wie sie miteinander umgehen. Ohne ihre
jeweiligen Eigenarten zu verleugnen, ohne die Stärken des
jeweils anderen zu kompromittieren, entspringen ihrer
gemeinsamen Arbeit Kunstwerke, die so nur im Zusammenspiel
beider Partner entstehen konnten (Abb. S.4).
Barbara
Esser ist ausgebildete Textildesignerin. Ihr Studium, 1988
an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld aufgenommen,
führte sie wenige Jahre später zum Abschluß als
Diplom-Designerin. Kurz danach kaufte sie sich einen
elektromagnetisch gesteuerten, 24-schäftigen Webstuhl und
arbeitet seit dieser Zeit als freie Weberin.
Wolfgang
Horn beendete sein Architekturstudium 1999 an der
Fachhochschule Düsseldorf als Diplom-Ingenieur. Sein
Interesse an Malerei und an utopischen Raumideen, wie sie
in legendären Filmen wie ,,Star Wars" von 1977
realisiert wurden, verführte ihn schon früh, in dieser
Richtung eigene Zeichnungen anzufertigen, die letztlich
Grundlage für seine späteren Installationen mit Barbara
Esser bildeten.
Die
beiden arbeiten seit 1993 in einem gemeinsamen Atelier in
Düsseldorf, einem winzigen Raum, in dem gerade Platz
genug für den Webstuhl ist, auf dem Barbara Esser ihre
Stoffe, meist Doppelgewebe, fertigt. Textilien, textile
Unikate, wie Esser sie ausschließlich herstellt, sind
Grundlage ihres gemeinsamen Tuns und Ausgangspunkt ihres
Schaffens.
Nicht nur
die unterschiedliche Ausbildung und die Vielseitigkeit
ihrer Interessen machen die beiden zu Grenzgängern. Auch
ihre Arbeiten ordnen Esser/Horn nicht eindeutig einer
bestimmten künstlerischen Richtung zu.
Wohl sind
die Stoffe, die Barbara Esser webt, vom Ursprung her
textil und sollten auch nichts anderes sein. Sie wurden zu
Kissen verarbeitet, als Teppiche auf den Boden gelegt,
oder sie dienen, wie das Doppelgewebe (Kat. Nr.4), dessen
reizvolle plastische Faltenbildung in Cloqué-Technik
durch die unterschiedlichen Spannungen in den Ketten
hervorgerufen wird, als Grundstoffe für Kleidungsstücke.
Und diese haben einen unerhörten Reiz. Der Farbkontrast,
eine Kombination aus Schwarz, Rot, Gelb, Orange, ist für
Barbara Esser in den 90er Jahren sehr typisch gewesen.
Trotz aller Intensität strahlt diese Farbkombination eine
eigentümliche Ruhe aus. Die Qualität des Stoffs, dazu
der ungewöhnliche, gleichwohl klare Schnitt der Weste,
die daraus gefertigt wurde (Kat. Nr.58), überzeugen
unmittelbar. Der Vorschlag, der sich einem angesichts der
wenigen, aber sehr schönen Kleidungsstücke aus den
Stoffen der Barbara Esser aufdrängt, sie solle als
Modedesignerin arbeiten, wird durch den großen Aufwand,
der bis zur Fertigstellung eines solchen Kleidungsstücks
erforderlich ist, ad absurdum geführt; wer sollte ein
solches Kleidungsstück bezahlen?
Die
Stoffe sind bei einer Webbreite von 1,50 m und einer
Kettfadendichte von 4000-6000 Kettfäden auf drei bis
fünf Meter ausgelegte Unikate. Die Einrichtung des
Webstuhls und die außerordentlich komplizierte Technik
verlangen der Weberin nicht selten 100 Arbeitsstunden und
mehr ab bis zur Fertigstellung eines Stoffs. Hinzu kommen
bei der Verarbeitung zu einem Kleidungsstück der Entwurf
und das Nähen. Somit ist die Arbeit als Modedesignerin
für Barbara Esser nicht realistisch.
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Die wenigen Exemplare, die es tatsächlich aus ihren Stoffen
gefertigt gibt, müssen Einzelstücke bleiben. Darunter ist
ein Anzug, den Wolfgang Horn trägt (Kat. Nr.57), und dessen
Muster aus der Ferne wie grobes, schwarzweißes Pepita
wirkt, das sich beim Näherkommen als aus kleinen
Totenköpfen zusammengesetzt entpuppt. Diese haben nichts
Erschreckendes und auch nichts Manieriertes. Es ist das
legitime, vielleicht etwas ironische Spiel mit unseren
optischen Wahrnehmungsfähigkeiten. Der Stoff gehört zu
einer Reihe von weiteren, deren kleinteilige Muster als
unruhig flimmerndes Ganzes erfaßt werden, deren winzige
Rapporte aber ebenso als ein konkretes Einzelnes erkannt
werden können. Neben dem Totenkopfmotiv sind das
vergleichbare Doppelgewebe mit hinweisgebenden Namen wie
,,Papageien" von 1995 (Kat. Nr. 13>, oder
,,Läufer" (Kat. Nr.14) aus demselben Jahr.
Es liegt auf der Hand, daß eine Weste aus einem so
komplizierten Stoff wie dem beschriebenen, sich nicht für
die Vervielfältigung eignet, die Grundlage alles
industriellen Produzierens ist. Wenn man aber textile
Unikate herstellt, aus denen man alles oder doch sehr vieles
machen kann, aber gleichzeitig verhindert, daß die
Industrie solche Ideen aufgreifen könnte - hat man ein
gewisses Problem.
Wolfgang Horn funktioniert die Stoffe um, zu Bildern, zu
Raumteilern und Objekten. Er rahmt sie, er begrenzt sie. Und
plötzlich wird aus den geometrischen Kompositionen etwas,
das die Grenzen des Textilen überschreitet.
Die
Textilien von Barbara Esser spielen in unendlichen
Variationen mit den Möglichkeiten des Schaftwebstuhls.
Dabei können sie durch sich wiederholende Rapporte bestimmt
sein, müssen es aber nicht. Kühne Farbkontraste jonglieren
mit optischen Effekten, die Anregungen aus einer teilweise
erfahrenen Wirklichkeit umsetzen (,,TV", Kat. Nr.21,
,,Börse", Kat. Nr.5, ,,Platine", Kat. Nr.26).
Technische Möglichkeiten werden zu plastischen Effekten
eingesetzt. Barbara Esser schafft die Grundlagen. Die
Umgestaltung eines Stoffs durch Wolfgang Horn macht daraus
ein ganz anders zu definierendes Objekt.
Die
Künstler trennen ihren Anteil an einem Werk nicht. Das ist
für Ihre Arbeit sehr wichtig. Die bei-
den sind Grenzgänger zwischen dem traditionellen textilen
Bereich, den sie perfekt beherrschen, und einer
künstlerischen Gestaltung, die nicht auf die Anwendbarkeit
als Kleider- und Möbelstoff oder gar als Dekoration
abzielt, sondern in großzügiger und bisweilen kühner
Weise Räume strukturiert und verändert.
Eindrucksvollstes
Beispiel ist sicher die Installation ,,6 Teppiche" zum
7. Deutschen Designer'Saturday im Düsseldorfer Ehrenhof
(Abb. 5. 4 und Kat. Nr. 54). Hierbei nahmen die Künstler
die sehr großen grünen Rasenflächen des Ehrenhofs zum
Ausgangspunkt ihrer Umgestaltung, deren Rechteckformen
einerseits und die weitere Assoziation ,,Rasenteppich"
andererseits als Grundlage für ihre Idee der ,,6
Teppiche" dienten. Hier spannten Esser/Horn
naturfarbene Baumwollfäden, abgeschnittene Webkanten, die
sie als Abfallprodukt aus der Webindustrie bezogen, in
riesige Rahmen unterschiedlicher Größe. Hierdurch ergab
sich ein sehr dichtes, optisch weißes Feld für jeden
Rahmen, das gleichzeitig durch das lockere Nebeneinander der
weichen und fusseligen Fäden nicht erstarrt wirkte, sondern
seinen flexiblen, textilen Charakter durchaus bewahrte.
Solche hellen, fast weißen Flächen legten die Künstler
auf die Rasenrechtecke und erreichten mit sparsamen Mitteln
eine großartige Belebung der Natur durch eine Musterung,
die tatsächlich von Teppichen abgeleitet und wie auf dem
Schaftwebstuhl gewebt erschien.
Der
Mut, eine solche Größe zu bewältigen (die beiden
mittleren Rasenflächen messen je 45 x 11 m, die vier
äußeren je 35 x 11 m), ist ebenso beeindruckend, wie die
durchaus schlichte Akzentuierung der grünen durch die
weißen Flächen überzeugend wirkt.
Das
Grundmaterial der baumwollenen Webkanten hat auch für
andere Objekte und Installationen gedient. Durch
Verbundstoff zu festen Strängen verdickt, entstanden im
weitesten Sinne Textilobjekte, die die Grundbindungen jeder
Weberei überdimensional als Leinwandbindung und Köper
verdeutlichen (Kat. Nr.40, 41).
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Vollkommen
lose, dicht an dicht gehängt, nahmen vergleichbare Fäden
von Webkanten, diesmal aus Polyester, bei der letzten
großen Installation ,,Treppenhaus" im Düsseldorfer ,,stilwerk",
im April 2002, das Motiv der Treppe in dem elliptischen
Innenhof des ,,stilwerks" auf (Abb. 5. 44). Auch hier
wieder überrascht die Furchtlosigkeit vor der riesigen
Rauminstallation, die bei 80 Fadenbahnen 9000 m
Fadenmaterial verbraucht, wobei Fadenlängen zwischen 1,50 m
und 6,50 m verarbeitet wurden. Der Lauf der freischwebenden
Treppe des ,,stilwerks" wird wie selbstverständlich
von den rechtwinklig gehängten Fäden aufgegriffen, deren
Biegsamkeit gleichzeitig dem elliptischen Rund des
Geländers folgen kann. Das textile Element, als
Behangmotiv, ist ebenfalls von Bedeutung und erfüllt hier
sowohl die Funktion des Verdeckens (der dahinter liegenden
Galerien), als auch die der Aufmerksamkeit auf sich
lenkenden Attraktion, die jeder Verhüllung innewohnt.
Daneben wirken Arbeiten wie ,,Hemd 1-2-3" (Kat. Nr.45),
Bildinstallationen aus Plasktik-Preisetiketten
zusammengefügt, oder ein Sessel im 70er Jahre Design aus
rechteckigen, durchsichtigen Plastikkissen, deren Füllung
aus geschreddertem (altem) Geld besteht, wie ironische
Akzente (Kat. Nr.53). Übrigens sitzt man auf den
,,Millionen" nicht schlechter als auf anderen Kissen;
aber auch nicht besser, was den ,,Wert" des Geldes
ebenso in Frage stellen dürfte, wie es einen zu der
Überlegung verleitet, ob teure Designmöbel, vor allem wenn
sie unbequem sind, ihren Zweck eigentlich nur durch ihren
Preis definieren.
Am schönsten sind aber doch immer wieder die Stoffe selbst:
der weiß-cremige Cloqué von 1994 (Kat. Nr.8), dessen
eindeutig aus kleinen Quadraten zusammengefügtes Muster
eine wundervolle ,,Unordentlichkeit" erhält durch die
leichte Faltenbildung der unterschiedlich gespannten Ketten,
wodurch sich die Strenge des Musters völlig auflöst, ohne
gleichzeitig die Form zu verlieren. Oder ,,Platine" von
2001 (Kat. Nr.26), dessen neumodische Inspirationsquelle
sich in der Unruhe des Musters wiederfindet, ein Muster,
dessen Bewegtheit die letztlich unvorstellbar schnellen
Abläufe auf einer Platine erlebbar widerspiegeln: Platine
und Webstuhl stehen beide für unendliche Vielfalt und nicht
enden wollende Möglichkeiten, die gleichzeitig gebändigt
werden durch eine genau definierte Regelmäßigkeit der
Abläufe.
Die
Doppelgewebe von Barbara Esser, und das gilt vor allem für
,,Platine", lassen beide Seiten eines Musters für das
Auge wie unterschiedliche Töne anklingen, die man fast
sogar physisch mit den Ohren zu vernehmen meint.
Auf
derselben Kette entstanden weitere Doppelgewebe wie
,,Laub" (Kat. Nr.37) und ,,ohne Titel" (Kat.
Nr.38), beide ebenfalls von 2001. Schön ist das
gleichförmige Fallen der braunen Blätter in dem weitgehend
grüntonigen Teppich ,,Laub" eingefangen, wobei sich
die Brauntöne sozusagen im unteren Teil des Gewebes als
Laubteppich sammeln, während die nach oben hin kleiner und
weniger werdenden Quadrate die Kahlheit der nunmehr
entlaubten Stämme verdeutlichen. Ein dichter Streifenwald,
bestehend aus dunkelbraunen und grünen Längsstreifen und
dazwischen lichtgelben Durchblicken, geben diesem im
übrigen ganz aus eckigen, geometrischen Formen bestehenden
Muster einen geradezu naturalistisch-erzählerischen
Anstrich. Die Farbumkehr der Rückseite leuchtet in warmen
Braun-Orangetönen, auf denen die nunmehr grünen Blätter
wie schwebend durch die Luft zu wirbeln scheinen.
Der
von gleichen Farbwerten bestimmte Teppich ,,ohne Titel"
(Kat. Nr. 38) scheint auf den ersten Blick von der
Regelmäßigkeit eines sich wiederholenden Rapports bestimmt
und vermittelt durchaus eine größere Ruhe als das
belebtere ,,Laubmuster". Erst auf den zweiten Blick
eröffnen sich dem Betrachter die kaum merklichen
Abweichungen von der vorgegebenen Gleichförmigkeit eines
einfachen Rapports. So ist, wenn man den Blick auf die
Querrichtung der Streifen konzentriert, eine waagerechte
Teilung in der Mitte deutlich schmaler als die drei anderen,
während die unregelmäßigen grünen Kreuzformen in den
breiteren Querstreifen unterschiedlich gerichtet sind.
Solche wenigen
Details
haben gleichwohl eine große Wirkung, denn sie fügen das
Stück zu einer Gesamtheit zusammen, geben ihm die
Geschlossenheit eines Unikats, während ein gleichmäßig
fortgeführter Rapport immer einen fragmentarischen
Charakter vermittelt. |
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Sehr
deutlich liegt darin eine Stärke der Arbeiten von Barbara
Esser, daß es ihr gelingt, dem Schematismus, der jedem
Schaftwebstuhl zugrunde liegt, zu entrinnen und durch
phantastische Abweichungen ihren Mustern eine verwirrende
Lebendigkeit zu verleihen.
Der
Anklang an Arbeiten der Bauhaus-Weberinnen ist vielleicht
zufällig. Esser/Horn betonen, daß sie selber überrascht
waren, als sie für sich die alten Webereientwürfe in der
Literatur entdeckten. Solche Ähnlichkeiten hängen
natürlich mit den technischen Gerätschaften zusammen,
denn auch die Bauhaus-Weberinnen arbeiteten an
Schaftwebstühlen - die natürlich nicht computergesteuert
waren. Daß also die Musterung ebenfalls geometrisch war
und vor allem das Spiel mit den Farben und kostrastreichen
Übergängen damals wie heute eine Rolle spielte und
spielt, liegt auf der Hand. Ebenso war und ist das sehr
sorgfältige Austarieren aller technischen Möglichkeiten
von besonderer Bedeutung, wozu unterschiedliche
Kettspannungen gehören oder der Reiz verschiedener
Materialien mit ihren jeweils anderen haptischen und
visuellen Eigenschaften.
So
ruft ein Stoff wie Börse (Kat. Nr 5.), dessen Anregung
die beiden Künstler schon 1994 aus den auch heute noch
täglich durch die Nachrichten flimmernden
Börsennotierungen erhielten, und der somit ganz eindeutig
ein Kind unserer neueren Zeit ist, Stoffe der Anni Albers
in Erinnerung wie ein 1926 entstandenes Dreifachgewebe.1
Andere Stücke (Kat. Nr.4, 6, 34) erinnern an Entwürfe
der Gunta Stölzl,2 wieder andere an Entwerfer, die in der
Nachfolge des Bauhauses gearbeitet haben.3
Eines
vielleicht darf man in diesem Zusammenhang anführen: Die
Ernsthaftigkeit, mit der Barbara Esser ihren Weg verfolgt
und die Unermüdlichkeit, mit der sie die Möglichkeiten
Ihres Webstuhls ergründet und auslotet, steht der der
Bauhaus-Weberinnen nicht nach. Deswegen kann sie Stoffe
von so großer Qualität erzeugen.
Ein
letztes Wort zu den Fächergeweben. Durch ein spezielles
Webblatt, ein sogenanntes Fächerblatt mit schräg
stehenden Rietstäben, die sich bündelweise nach oben
verjüngen und nach unten verbreitern, um direkt daneben
gegenläufig sich oben zu verbreitern und nach unten zu
verjüngen, ist es möglich, Kettfäden in Geweben
wellenförmig laufen zu lassen, so daß auch hier eine
Abweichung von der Norm, das heißt der geraden Linie
möglich ist, wobei dem Muster (Kat. Nr.27) eine schöne
Leichtigkeit verliehen wird. Barbara Esser hat sich ein
solches Webblatt extra für ihren Webstuhl in der Schweiz
anfertigen lassen.
Die
Bandbreite der Arbeiten von Esser/Horn ist sehr groß:
Textile Arbeiten, Objekte, Installationen, Kleidung. Es
ist ein Charakteristikum von Grenzgängern, daß sie auf
beiden Seiten der Grenze zu Hause sind. So bleiben alle
Möglichkeiten offen.
Brigitte
Tietzel
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Die
Ausstellung ,,Grenzgänger" ist bis zum 22. September
2002 im Deutschen Textilmuseum Krefeld, Andreasmarkt 8,
47809 Krefeld, zu sehen.
Dienstag-Sonntag und feiertags 10-18 Uhr |
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