Katalog:  (Text)
Ausstellung "Grenzgänger + Blumenwiese"
2002
Vorwort
Von Prof. Dr. Brigitte Tietzel (Text), Johannes Breitkopf (Fotos)

Kunstwege sollen in der von der Euroga 2002+ umfaßten Region an Rhein und Maas die dezentrale Landesgartenschau um eine künstlerische Dimension erweitern. In Linn entsteht im Sommer dieses Jahres im Ortskern eine ,,Blumenwiese", bei der das geschichtsbezogene Kopfsteinpflaster mit gelben und weißen Pixeln wie von Gänseblümchen übersät wird.

Das Gefühl für die Natur, das die Landesgartenschau sicher in sehr konkreter Weise schärfen kann in den zahlreichen, wundervollen neu gestalteten Parkanlagen, wird durch die Linner Installation der Düsseldorfer Künstler Barbara Esser und Wolfgang Horn in einer eher abstrakten Weise angesprochen. Indem man über eine gepflasterte Straße geht, die das natürliche Wachstum der Pflanzen geradezu verhindert, und auf solchen Straßen das stilisierte Abbild von Blumen erkennt, die vielleicht zu den ersten gehören, die man als Kind wirklich wahrnimmt, fragt man sich unwillkürlich: Wann bin ich zum letzten Mal über eine tatsächliche Blumenwiese gegangen?

Und es beginnt, Spaß zu machen, bewußt auf die gepixelten Gänseblumen zu treten oder seinen Weg zwischen den Blüten hindurch zu finden. Fast bedauert man, die Blumen nicht pflücken zu können. Aber man nimmt sich vielleicht vor, dies im nahegelegenen Park der Burg Linn nachzuholen.

Da die ,,Blüten" der Installation die Museen in Linn verbinden, geben sie dem Besucher den Hinweis auf die Kunst, zu der sie dieser Weg führt. Sie verdichten sich vor dem Textilmuseum und geben hiermit einen Hinweis auf die Inhalte dieser Kunststätte, deren Entwürfe vielfach, und dies zu allen Zeiten, der Natur entlehnt waren.

Barbara Esser und Wolfgang Horn sind in ihren Arbeiten selber dem Textilen sehr verwandt, wenn auch die Muster, die die ausgebildete Textildesignerin Esser als Doppelgewebe fertigt, auf den ersten Blick wenig mit der Natur zu tun haben. Viel eher stehen ihre Entwürfe, wie sie die Ausstellung ,,Grenzgänger", die in Zusammenhang mit der Außeninstallation ,,Blumenwiese" im Deutschen Textilmuseum gezeigt wird, den abstrakten Arbeiten der Bauhaus-Weberinnen nahe.

Doch schließt sich der Kreis, wenn trotz der Abstraktion der Muster bei einigen, wie etwa bei dem Teppich ,,Laub" (Kat. Nr. 37) sehr wohl ein Naturerlebnis, das Fallen der Blätter, für den Betrachter spürbar evoziert wird.

Da die Natur den Künstlern zu allen Zeiten als Vorbild diente, darf sich der Künstler wohl auch der Natur bedienen, um solche Zusammenhänge zu verdeutlichen. Die ,,6 Teppiche" (siehe Abb. 5.4) der gleichnamigen Installation von Essen Horn beim Designer'Saturday im Düsseldorfer Ehrenhof von 1999 sind ein großartiges Zeugnis solcher künstlerischen Umgestaltung von Natur zu einem Motiv - dem des Teppichs -, das dem Menschen so häufig als Anspielung auf die Natur in seinem häuslichen Lebensumfeld diente.

Das Deutsche Textilmuseum ist froh, einen Beitrag zur Euroga 2002+ leisten zu können und mit Barbara Esser und Wolfgang Horn Künstler gefunden zu haben, die sich als Grenzgänger einer eindeutigen Zuordnung ihrer künstlerischen Arbeit entziehen. Das scheint mir wie ein Versprechen auf mehr.

Prof. Dr. Brigitte Tietzel Direktorin des Museums

 
 

Blumenwiese

Eine Installation von
Barbara Esser und Wolfgang Horn
Auf dem Andreasmarkt in Krefeld-Linn

In Zusammenhang mit der Euroga 2002+ lassen Esser/Horn in Linn, am Standort des Deutschen Textilmuseums eine " Blumenwiese" entstehen.

In diesem Projekt wird die Idee des bewußten Umgangs mit der Natur künstlerisch aufgegriffen. Eine Wiese mit Gänseblumen, ein unscheinbarer, profaner, gewöhnlicher, seit Kindertagen vertrauter Bestandteil unserer natürlichen Umgebung, ist Ausgangspunkt der künstlerischen Überlegungen. Im Alltagsleben eher unwichtig und übersehen, wird er in der Installation auf die Pflastersteine des historischen Ortskerns von Linn gepixelt und dringt in dieser abstrahierten Form erst wieder in unser Bewußtsein.

Als Ausstellungsfläche dienen der Andreasmarkt und die zu ihm führenden Straßen des Ortsteils. Die Pixel verbinden die Museen in Linn und sind im wahrsten Sinn des Wortes ein Kunstweg, ein Weg zur Kunst. Erst vereinzelt, dann dichter werdend, führen diese seltsamen Straßenblumen den Besucher zum Eingang des Deutschen Textilmuseums und deuten somit in verfremdender Weise auf den Inhalt der Sammlungen des Museums, denn nicht selten ist die Natur Vorbild für textile Muster und Ornamente gewesen.

Das Material für die ,,Gänseblumen" besteht aus gelben und weißen Markierungsstreifen, wie sie von Baustellen auf Autobahnen bekannt sind. Ein sehr technisches Material verwandelt sich in ein Abbild der Natur, Natur wird uns in ,,technischer" Verfremdung wieder bewußt gemacht.

Die dezentrale Gartenschau der Euroga 2002+ hatte unter anderem das Ziel, durch eine Neugestaltung vorhandener Parks und Gärten, die teilweise vernachlässigt, teilweise als Besonderheit einfach aus dem Bewußtsein der Menschen verschwunden waren, aufzuwerten und wiederzubeleben. Esser/Horn haben ihren Beitrag zu den Kunstwegen der Euroga als eine gleiche Aufgabe verstanden, mit den Mitteln des Künstlers Mensch und Natur zusammenzubringen. Das hierbei in der Arbeit der Künstler die tatsächliche Natur keine Rolle zu spielen braucht, sondern im Gegenteil der Mensch über stilisierte Abbilder der Natur und mit Hilfe technischer Materialien angesprochen wird, die ihm im Alltagsleben fast vertrauter sind, ist nur folgerichtig.

Die Verfremdung der Materialien einerseits, die man als Autofahrer sofort wiedererkennt, aber hier in einem völlig anderen Zusammenhang begreifen muß, und die fremdartige Vision der Gänseblümchen auf Kopfsteinpflaster andererseits, sollen die Aufmerksamkeit der Besucher erregen, die der künstlerischen Installation - so die Hoffnung folgen werden: Sowohl in das Textilmuseum als auch in die Natur der Parks von Burg Linn.

Brigitte Tietzel

 
Grenzgänger

Bemerkenswert, wie diese beiden Menschen, aus so unterschiedlichen künstlerischen Bereichen kommend, zueinander gefunden haben und wie sie miteinander umgehen. Ohne ihre jeweiligen Eigenarten zu verleugnen, ohne die Stärken des jeweils anderen zu kompromittieren, entspringen ihrer gemeinsamen Arbeit Kunstwerke, die so nur im Zusammenspiel beider Partner entstehen konnten (Abb. S.4).

Barbara Esser ist ausgebildete Textildesignerin. Ihr Studium, 1988 an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld aufgenommen, führte sie wenige Jahre später zum Abschluß als Diplom-Designerin. Kurz danach kaufte sie sich einen elektromagnetisch gesteuerten, 24-schäftigen Webstuhl und arbeitet seit dieser Zeit als freie Weberin.

Wolfgang Horn beendete sein Architekturstudium 1999 an der Fachhochschule Düsseldorf als Diplom-Ingenieur. Sein Interesse an Malerei und an utopischen Raumideen, wie sie in legendären Filmen wie ,,Star Wars" von 1977 realisiert wurden, verführte ihn schon früh, in dieser Richtung eigene Zeichnungen anzufertigen, die letztlich Grundlage für seine späteren Installationen mit Barbara Esser bildeten.

Die beiden arbeiten seit 1993 in einem gemeinsamen Atelier in Düsseldorf, einem winzigen Raum, in dem gerade Platz genug für den Webstuhl ist, auf dem Barbara Esser ihre Stoffe, meist Doppelgewebe, fertigt. Textilien, textile Unikate, wie Esser sie ausschließlich herstellt, sind Grundlage ihres gemeinsamen Tuns und Ausgangspunkt ihres Schaffens.

Nicht nur die unterschiedliche Ausbildung und die Vielseitigkeit ihrer Interessen machen die beiden zu Grenzgängern. Auch ihre Arbeiten ordnen Esser/Horn nicht eindeutig einer bestimmten künstlerischen Richtung zu.

Wohl sind die Stoffe, die Barbara Esser webt, vom Ursprung her textil und sollten auch nichts anderes sein. Sie wurden zu Kissen verarbeitet, als Teppiche auf den Boden gelegt, oder sie dienen, wie das Doppelgewebe (Kat. Nr.4), dessen reizvolle plastische Faltenbildung in Cloqué-Technik durch die unterschiedlichen Spannungen in den Ketten hervorgerufen wird, als Grundstoffe für Kleidungsstücke. Und diese haben einen unerhörten Reiz. Der Farbkontrast, eine Kombination aus Schwarz, Rot, Gelb, Orange, ist für Barbara Esser in den 90er Jahren sehr typisch gewesen. Trotz aller Intensität strahlt diese Farbkombination eine eigentümliche Ruhe aus. Die Qualität des Stoffs, dazu der ungewöhnliche, gleichwohl klare Schnitt der Weste, die daraus gefertigt wurde (Kat. Nr.58), überzeugen unmittelbar. Der Vorschlag, der sich einem angesichts der wenigen, aber sehr schönen Kleidungsstücke aus den Stoffen der Barbara Esser aufdrängt, sie solle als Modedesignerin arbeiten, wird durch den großen Aufwand, der bis zur Fertigstellung eines solchen Kleidungsstücks erforderlich ist, ad absurdum geführt; wer sollte ein solches Kleidungsstück bezahlen?

Die Stoffe sind bei einer Webbreite von 1,50 m und einer Kettfadendichte von 4000-6000 Kettfäden auf drei bis fünf Meter ausgelegte Unikate. Die Einrichtung des Webstuhls und die außerordentlich komplizierte Technik verlangen der Weberin nicht selten 100 Arbeitsstunden und mehr ab bis zur Fertigstellung eines Stoffs. Hinzu kommen bei der Verarbeitung zu einem Kleidungsstück der Entwurf und das Nähen. Somit ist die Arbeit als Modedesignerin für Barbara Esser nicht realistisch.


Die wenigen Exemplare, die es tatsächlich aus ihren Stoffen gefertigt gibt, müssen Einzelstücke bleiben. Darunter ist ein Anzug, den Wolfgang Horn trägt (Kat. Nr.57), und dessen Muster aus der Ferne wie grobes, schwarzweißes Pepita wirkt, das sich beim Näherkommen als aus kleinen Totenköpfen zusammengesetzt entpuppt. Diese haben nichts Erschreckendes und auch nichts Manieriertes. Es ist das legitime, vielleicht etwas ironische Spiel mit unseren optischen Wahrnehmungsfähigkeiten. Der Stoff gehört zu einer Reihe von weiteren, deren kleinteilige Muster als unruhig flimmerndes Ganzes erfaßt werden, deren winzige Rapporte aber ebenso als ein konkretes Einzelnes erkannt werden können. Neben dem Totenkopfmotiv sind das vergleichbare Doppelgewebe mit hinweisgebenden Namen wie ,,Papageien" von 1995 (Kat. Nr. 13>, oder ,,Läufer" (Kat. Nr.14) aus demselben Jahr.
Es liegt auf der Hand, daß eine Weste aus einem so komplizierten Stoff wie dem beschriebenen, sich nicht für die Vervielfältigung eignet, die Grundlage alles industriellen Produzierens ist. Wenn man aber textile Unikate herstellt, aus denen man alles oder doch sehr vieles machen kann, aber gleichzeitig verhindert, daß die Industrie solche Ideen aufgreifen könnte - hat man ein gewisses Problem.
Wolfgang Horn funktioniert die Stoffe um, zu Bildern, zu Raumteilern und Objekten. Er rahmt sie, er begrenzt sie. Und plötzlich wird aus den geometrischen Kompositionen etwas, das die Grenzen des Textilen überschreitet.

Die Textilien von Barbara Esser spielen in unendlichen Variationen mit den Möglichkeiten des Schaftwebstuhls. Dabei können sie durch sich wiederholende Rapporte bestimmt sein, müssen es aber nicht. Kühne Farbkontraste jonglieren mit optischen Effekten, die Anregungen aus einer teilweise erfahrenen Wirklichkeit umsetzen (,,TV", Kat. Nr.21, ,,Börse", Kat. Nr.5, ,,Platine", Kat. Nr.26). Technische Möglichkeiten werden zu plastischen Effekten eingesetzt. Barbara Esser schafft die Grundlagen. Die Umgestaltung eines Stoffs durch Wolfgang Horn macht daraus ein ganz anders zu definierendes Objekt.

Die Künstler trennen ihren Anteil an einem Werk nicht. Das ist für Ihre Arbeit sehr wichtig. Die bei-
den sind Grenzgänger zwischen dem traditionellen textilen Bereich, den sie perfekt beherrschen, und einer künstlerischen Gestaltung, die nicht auf die Anwendbarkeit als Kleider- und Möbelstoff oder gar als Dekoration abzielt, sondern in großzügiger und bisweilen kühner Weise Räume strukturiert und verändert.

Eindrucksvollstes Beispiel ist sicher die Installation ,,6 Teppiche" zum 7. Deutschen Designer'Saturday im Düsseldorfer Ehrenhof (Abb. 5. 4 und Kat. Nr. 54). Hierbei nahmen die Künstler die sehr großen grünen Rasenflächen des Ehrenhofs zum Ausgangspunkt ihrer Umgestaltung, deren Rechteckformen einerseits und die weitere Assoziation ,,Rasenteppich" andererseits als Grundlage für ihre Idee der ,,6 Teppiche" dienten. Hier spannten Esser/Horn naturfarbene Baumwollfäden, abgeschnittene Webkanten, die sie als Abfallprodukt aus der Webindustrie bezogen, in riesige Rahmen unterschiedlicher Größe. Hierdurch ergab sich ein sehr dichtes, optisch weißes Feld für jeden Rahmen, das gleichzeitig durch das lockere Nebeneinander der weichen und fusseligen Fäden nicht erstarrt wirkte, sondern seinen flexiblen, textilen Charakter durchaus bewahrte. Solche hellen, fast weißen Flächen legten die Künstler auf die Rasenrechtecke und erreichten mit sparsamen Mitteln eine großartige Belebung der Natur durch eine Musterung, die tatsächlich von Teppichen abgeleitet und wie auf dem Schaftwebstuhl gewebt erschien.

Der Mut, eine solche Größe zu bewältigen (die beiden mittleren Rasenflächen messen je 45 x 11 m, die vier äußeren je 35 x 11 m), ist ebenso beeindruckend, wie die durchaus schlichte Akzentuierung der grünen durch die weißen Flächen überzeugend wirkt.

Das Grundmaterial der baumwollenen Webkanten hat auch für andere Objekte und Installationen gedient. Durch Verbundstoff zu festen Strängen verdickt, entstanden im weitesten Sinne Textilobjekte, die die Grundbindungen jeder Weberei überdimensional als Leinwandbindung und Köper verdeutlichen (Kat. Nr.40, 41).

 

Vollkommen lose, dicht an dicht gehängt, nahmen vergleichbare Fäden von Webkanten, diesmal aus Polyester, bei der letzten großen Installation ,,Treppenhaus" im Düsseldorfer ,,stilwerk", im April 2002, das Motiv der Treppe in dem elliptischen Innenhof des ,,stilwerks" auf (Abb. 5. 44). Auch hier wieder überrascht die Furchtlosigkeit vor der riesigen Rauminstallation, die bei 80 Fadenbahnen 9000 m Fadenmaterial verbraucht, wobei Fadenlängen zwischen 1,50 m und 6,50 m verarbeitet wurden. Der Lauf der freischwebenden Treppe des ,,stilwerks" wird wie selbstverständlich von den rechtwinklig gehängten Fäden aufgegriffen, deren Biegsamkeit gleichzeitig dem elliptischen Rund des Geländers folgen kann. Das textile Element, als Behangmotiv, ist ebenfalls von Bedeutung und erfüllt hier sowohl die Funktion des Verdeckens (der dahinter liegenden Galerien), als auch die der Aufmerksamkeit auf sich lenkenden Attraktion, die jeder Verhüllung innewohnt.
Daneben wirken Arbeiten wie ,,Hemd 1-2-3" (Kat. Nr.45), Bildinstallationen aus Plasktik-Preisetiketten zusammengefügt, oder ein Sessel im 70er Jahre Design aus rechteckigen, durchsichtigen Plastikkissen, deren Füllung aus geschreddertem (altem) Geld besteht, wie ironische Akzente (Kat. Nr.53). Übrigens sitzt man auf den ,,Millionen" nicht schlechter als auf anderen Kissen; aber auch nicht besser, was den ,,Wert" des Geldes ebenso in Frage stellen dürfte, wie es einen zu der Überlegung verleitet, ob teure Designmöbel, vor allem wenn sie unbequem sind, ihren Zweck eigentlich nur durch ihren Preis definieren.
Am schönsten sind aber doch immer wieder die Stoffe selbst: der weiß-cremige Cloqué von 1994 (Kat. Nr.8), dessen eindeutig aus kleinen Quadraten zusammengefügtes Muster eine wundervolle ,,Unordentlichkeit" erhält durch die leichte Faltenbildung der unterschiedlich gespannten Ketten, wodurch sich die Strenge des Musters völlig auflöst, ohne gleichzeitig die Form zu verlieren. Oder ,,Platine" von 2001 (Kat. Nr.26), dessen neumodische Inspirationsquelle sich in der Unruhe des Musters wiederfindet, ein Muster, dessen Bewegtheit die letztlich unvorstellbar schnellen Abläufe auf einer Platine erlebbar widerspiegeln: Platine und Webstuhl stehen beide für unendliche Vielfalt und nicht enden wollende Möglichkeiten, die gleichzeitig gebändigt werden durch eine genau definierte Regelmäßigkeit der Abläufe.

Die Doppelgewebe von Barbara Esser, und das gilt vor allem für ,,Platine", lassen beide Seiten eines Musters für das Auge wie unterschiedliche Töne anklingen, die man fast sogar physisch mit den Ohren zu vernehmen meint.

Auf derselben Kette entstanden weitere Doppelgewebe wie ,,Laub" (Kat. Nr.37) und ,,ohne Titel" (Kat. Nr.38), beide ebenfalls von 2001. Schön ist das gleichförmige Fallen der braunen Blätter in dem weitgehend grüntonigen Teppich ,,Laub" eingefangen, wobei sich die Brauntöne sozusagen im unteren Teil des Gewebes als Laubteppich sammeln, während die nach oben hin kleiner und weniger werdenden Quadrate die Kahlheit der nunmehr entlaubten Stämme verdeutlichen. Ein dichter Streifenwald, bestehend aus dunkelbraunen und grünen Längsstreifen und dazwischen lichtgelben Durchblicken, geben diesem im übrigen ganz aus eckigen, geometrischen Formen bestehenden Muster einen geradezu naturalistisch-erzählerischen Anstrich. Die Farbumkehr der Rückseite leuchtet in warmen Braun-Orangetönen, auf denen die nunmehr grünen Blätter wie schwebend durch die Luft zu wirbeln scheinen.

Der von gleichen Farbwerten bestimmte Teppich ,,ohne Titel" (Kat. Nr. 38) scheint auf den ersten Blick von der Regelmäßigkeit eines sich wiederholenden Rapports bestimmt und vermittelt durchaus eine größere Ruhe als das belebtere ,,Laubmuster". Erst auf den zweiten Blick eröffnen sich dem Betrachter die kaum merklichen Abweichungen von der vorgegebenen Gleichförmigkeit eines einfachen Rapports. So ist, wenn man den Blick auf die Querrichtung der Streifen konzentriert, eine waagerechte Teilung in der Mitte deutlich schmaler als die drei anderen, während die unregelmäßigen grünen Kreuzformen in den breiteren Querstreifen unterschiedlich gerichtet sind. Solche wenigen

Details haben gleichwohl eine große Wirkung, denn sie fügen das Stück zu einer Gesamtheit zusammen, geben ihm die Geschlossenheit eines Unikats, während ein gleichmäßig fortgeführter Rapport immer einen fragmentarischen Charakter vermittelt.

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Sehr deutlich liegt darin eine Stärke der Arbeiten von Barbara Esser, daß es ihr gelingt, dem Schematismus, der jedem Schaftwebstuhl zugrunde liegt, zu entrinnen und durch phantastische Abweichungen ihren Mustern eine verwirrende Lebendigkeit zu verleihen.

Der Anklang an Arbeiten der Bauhaus-Weberinnen ist vielleicht zufällig. Esser/Horn betonen, daß sie selber überrascht waren, als sie für sich die alten Webereientwürfe in der Literatur entdeckten. Solche Ähnlichkeiten hängen natürlich mit den technischen Gerätschaften zusammen, denn auch die Bauhaus-Weberinnen arbeiteten an Schaftwebstühlen - die natürlich nicht computergesteuert waren. Daß also die Musterung ebenfalls geometrisch war und vor allem das Spiel mit den Farben und kostrastreichen Übergängen damals wie heute eine Rolle spielte und spielt, liegt auf der Hand. Ebenso war und ist das sehr sorgfältige Austarieren aller technischen Möglichkeiten von besonderer Bedeutung, wozu unterschiedliche Kettspannungen gehören oder der Reiz verschiedener Materialien mit ihren jeweils anderen haptischen und visuellen Eigenschaften.

So ruft ein Stoff wie Börse (Kat. Nr 5.), dessen Anregung die beiden Künstler schon 1994 aus den auch heute noch täglich durch die Nachrichten flimmernden Börsennotierungen erhielten, und der somit ganz eindeutig ein Kind unserer neueren Zeit ist, Stoffe der Anni Albers in Erinnerung wie ein 1926 entstandenes Dreifachgewebe.1 Andere Stücke (Kat. Nr.4, 6, 34) erinnern an Entwürfe der Gunta Stölzl,2 wieder andere an Entwerfer, die in der Nachfolge des Bauhauses gearbeitet haben.3

Eines vielleicht darf man in diesem Zusammenhang anführen: Die Ernsthaftigkeit, mit der Barbara Esser ihren Weg verfolgt und die Unermüdlichkeit, mit der sie die Möglichkeiten Ihres Webstuhls ergründet und auslotet, steht der der Bauhaus-Weberinnen nicht nach. Deswegen kann sie Stoffe von so großer Qualität erzeugen.

Ein letztes Wort zu den Fächergeweben. Durch ein spezielles Webblatt, ein sogenanntes Fächerblatt mit schräg stehenden Rietstäben, die sich bündelweise nach oben verjüngen und nach unten verbreitern, um direkt daneben gegenläufig sich oben zu verbreitern und nach unten zu verjüngen, ist es möglich, Kettfäden in Geweben wellenförmig laufen zu lassen, so daß auch hier eine Abweichung von der Norm, das heißt der geraden Linie möglich ist, wobei dem Muster (Kat. Nr.27) eine schöne Leichtigkeit verliehen wird. Barbara Esser hat sich ein solches Webblatt extra für ihren Webstuhl in der Schweiz anfertigen lassen.

Die Bandbreite der Arbeiten von Esser/Horn ist sehr groß: Textile Arbeiten, Objekte, Installationen, Kleidung. Es ist ein Charakteristikum von Grenzgängern, daß sie auf beiden Seiten der Grenze zu Hause sind. So bleiben alle Möglichkeiten offen.

Brigitte Tietzel

 

Die Ausstellung ,,Grenzgänger" ist bis zum 22. September 2002 im Deutschen Textilmuseum Krefeld, Andreasmarkt 8,
47809 Krefeld, zu sehen.
Dienstag-Sonntag und feiertags 10-18 Uhr

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